Kenneth Goldsmith
Ich möchte hier von einer Schreibweise berichten, an der ich selbst beteiligt bin: dem konzeptuellen Schreiben. Beim konzeptuellen Schreiben ist die Idee oder das Konzept der wichtigste Bestandteil der Arbeit. Der Autor, der eine konzeptuelle Schreibweise anwendet, trifft die gesamte Planung und die Entscheidungen vorab, die Ausführung ist nebensächlich. Die Idee wird zu einer Maschine, die den Text herstellt. Diese Art zu schreiben ist nicht theoretisch oder veranschaulicht Theorie. Sie ist intuitiv, involviert jedwede Art mentaler Prozesse und ist absichtslos. Sie ist für gewöhnlich unabhängig von der handwerklichen Fähigkeit der Schreibenden. Es ist das Ziel des Autors, der konzeptuell schreibt, ihre Arbeit für den Leser interessant zu machen, daher möchte sie ihm das Emotionale entziehen. Es gibt jedenfalls keinen Grund anzunehmen, dass das konzeptuelle Schreiben den Leser langweilen möchte. Allenfalls die Erwartung eines emotionalen Kicks, an den der Rezipient romantischer Literatur gewöhnt ist, hält den Leser von einer Wahrnehmung dieser Schreibweise ab.
Konzeptuelles Schreiben ist nicht zwangsläufig logisch. Die Logik eines Beitrags oder einer Reihe von Beiträgen ist ein Hilfsmittel, das zeitweise dazu benutzt wird, um diese zu unterlaufen. Logik könnte angewendet werden, um die reale Absicht der Schreibenden zu verdecken, den Leser im Glauben zu lassen, sie verstünde die Arbeit, oder um eine paradoxe Situation einzuführen (so wie logisch vs. alogisch). Einige Ideen sind in ihrer Konzeption logisch und in ihrer Wahrnehmung alogisch. Diese Ideen müssen nicht komplex sein. Die meisten erfolgreichen Ideen sind haarsträubend einfach. Erfolgreiche Ideen erwecken häufig den Anschein der Einfachheit, weil sie unvermeidlich wirken. Wenn es ums Schreiben geht, ist die Schreibende in der Lage, sich selbst zu überraschen. Ideen werden durch Intuition entdeckt. Egal, welche Form das Schreiben letzten Endes hat: Es muss mit einer Idee beginnen. Es ist der Prozess der Konzeption und Realisierung, mit der die Schreibende beschäftigt ist. Wenn der Arbeit einmal eine physische Realität durch den Schreibenden gegeben wurde, ist sie offen für die Perzeption aller, einschließlich des Autors. (Ich benutze das Wort Perzeption, um die Aufnahme der Sinnesdaten, des objektiven Verfahrens einer Idee und gleichzeitig eine subjektive Interpretation von beidem anzuzeigen). Die literarische Arbeit kann erst nach ihrer Fertigstellung wahrgenommen werden.
Literatur, die primär für die Sinneswahrnehmung des Ohres angelegt ist, muss eher auditiv denn konzeptuell genannt werden. Dies würde den größten Teil der Poesie und bestimmte Teile der Prosa betreffen.
Da die Funktionen von Konzeption und Perzeption gegensätzlich sind (das eine prä-, das andere post-faktisch), würde der Autor ihre Idee durch das Hinzufügen einer subjektiven Beurteilung abschwächen. Wenn der Autor ihre Idee durch und durch erforschen möchte, minimierten sich zufällige Entscheidungen, während Willkür, Geschmack und andere Launen von der Erstellung des Textes ausgeklammert würden. Die Arbeit muss nicht notwendigerweise verworfen werden, wenn sie nicht gut aussieht. Manchmal kann das, was zunächst umständlich wirkt, letztlich ästhetisch ansprechend sein. Ein vorab erstellter Plan ist eine Möglichkeit, Subjektivität zu vermeiden. Er verhindert auch die Notwendigkeit, jede Arbeit der Reihe nach zu gestalten. Der Plan würde die Arbeit gestalten. Einige Pläne würden eine Million Variationen verlangen und andere eine begrenzte Anzahl an Möglichkeiten, aber beide wären endlich. Andere Pläne verlangten nach Unendlichkeit. In jedem Fall würde letztendlich der Autor die Grundform und die Regeln auswählen, die zur Lösung des Problems führten. Je weniger Entscheidungen im Lauf der Arbeit bis zu ihrer Fertigstellung benötigt werden, um so besser. Dies schließt Willkür, das Kapriziöse und das Subjektive so weit wie möglich aus. Das ist der Hauptgrund, diese Methode einzusetzen.
Wenn ein Autor eine vielfach modulare Methode einsetzt, wählt sie im Normalfall eine einfache und leicht zugängliche Form aus. Die Form selbst besitzt eine sehr begrenzte Bedeutung; sie wird zur Grammatik der gesamten Arbeit. In der Tat ist es am besten, das Grundprinzip von vornherein uninteressant zu halten, damit es leichter ist, diesen als wesentlichen Teil der gesamten Arbeit zu erkennen. Verwendet man komplexe Grundformen, unterbrechen sie nur die Einheit des Ganzen. Verwendet man einfache Formen mehrmals, verringert dies die Ebene des Arbeitsfeldes, und die Intensität wird auf das Arrangement der Form konzentriert. Dieses Arrangement steht hintan, während die Form zur Bedeutung wird.
Konzeptuelles Schreiben hat nicht unbedingt viel mit Mathematik, Philosophie oder einer anderen geistigen Disziplin zu tun. Jene Mathematik, wie sie von den meisten Schreibenden verwendet wird, ist simple Arithmetik oder die Verwendung einfacher Zahlensysteme. Die Philosophie der Arbeit ist der Arbeit eingeschrieben und keine Veranschaulichung irgendeines philosophischen Systems.
Es ist grundsätzlich egal, ob der Leser das Konzept des Autors beim Lesen des Textes versteht. Hat der Autor den Text erst einmal aus der Hand gegeben, hat der Schreibende keine Kontrolle darüber, wie der Leser die Arbeit aufnehmen wird. Verschiedene Leute werden dieselbe Sache auf verschiedene Art und Weise verstehen.
Wenn der Schreibende ihre Idee durchführt und sie in eine erkennbaren Form überführt , dann sind alle Schritte bei diesem Prozess wichtig . Bei der Idee selbst, auch wenn sie nicht offengelegt wird, handelt es sich genauso sehr um eine künstlerische Arbeit, wie bei jedem fertiggestellten Produkt. Alle eingreifenden Schritte – Entwürfe, Zeichnungen, gescheiterte Versuche, Versionen, Studien, Gedanken, Konversationen – sind interessant. Jene, die die Denkprozesse des Schreibenden zeigen, sind manchmal interessanter als das Endprodukt.
Zu bestimmen, welche Länge ein Stück haben sollte, ist schwierig. Wenn das Buch übermäßig lang angelegt wäre, machte das Format bereits Eindruck, und die Idee könnte völlig verloren gehen. Wenn das Stück jedoch zu kurz wäre, könnte es belanglos werden. Ich denke, der Text muss lang genug sein, um den Leser alle notwendigen Informationen zu geben, die sie benötigt, um die Arbeit zu verstehen, und dabei so verfasst sein, dass die Länge das Verständnis erleichtert.
Die Seite kann als eine flache Ebene gedacht werden, die von einem dreidimensionalen Band umgegeben ist. Jeder Wälzer besetzt Raum; man darf die physische Charakteristik des gedruckten Bandes nicht vernachlässigen. Je nachdem, ob der Text dazu gedacht ist, permanent auf dem Computer oder im Netzwerk zu bleiben, ist seine Platzierung auf dem Bildschirm oder als Druckversion gleichermaßen wichtig. Es ist das Intervall zwischen den Dingen, das gemessen werden kann. Die Intervalle und Messungen können für die konzeptuelle Schreibarbeit wichtig sein. Wenn der Raum relativ unwichtig ist – wie zum Beispiel auf einer Webseite –, sollte er reguliert und gleichwertig gemacht werden (Dinge sollten in gleichen Abständen voneinander platziert werden), um jegliches Interesse an den Intervallen abzuschwächen. Gleichförmige Räume könnten also ein metrisches Zeitelement werden, eine Art gleichmäßiger Beat oder Puls. Wenn das Intervall gleichmäßig gehalten wird, gewinnt alles, was ungleichmäßig ist, an Bedeutung.
Marktplatzfiktion und Formen „zielgerichteten“ Schreibens verhalten sich hierzu gänzlich entgegengesetzt. Ersteres ist damit beschäftigt, einen Text mit einer spezifischen Funktion zu erstellen. Fiktion beispielsweise, ob es sich dabei nun um ein Kunstwerk handelt oder nicht, muss utilitaristisch sein, sonst versagt sie vollständig. Konzeptuelles Schreiben ist nicht utilitaristisch. Sobald Poesie einige dieser Charakteristika annimmt, wie etwa utilitaristische Zonen abzustecken, weicht damit ihre Funktion als Kunst.
Neue Materialien sind eines der großen Leiden zeitgenössischen Schreibens. Einige Schreibende verwechseln neue Materialien mit neuen Ideen. Es gibt nichts Schlimmeres als Kunst anzusehen, die sich in kitschigen Spielereien wälzt. Die Landschaft des elektronischen Schreibens ist übersät mit solchen Fehlschlägen. Im Großen und Ganzen sind die meisten Autoren, die sich von diesem Material angezogen fühlen, diejenigen, denen es an Stringenz des Geistes mangelt, würden sie sich dieser bedienen würden, brächten sie die Materialien auf eine gute Weise zum Einsatz. Es bedarf guter Schriftstellerinnen, um neue Materialien zu nutzen und daraus literarische Arbeiten machen. Ich glaube, die Gefahr besteht darin, die Physikalität des Materials so wichtig zu nehmen, dass sie zur Idee der Arbeit selbst wird (eine andere Art des Romantizismus). Mit einer strengen Idee im Kopf zu schreiben, ist für einen Autor Herausforderung genug; fügt man Programmierung, Design und Geräusch hinzu, wird die Herausforderung unüberwindlich.
Jede Art des Schreibens ist ein physikalischer Akt. Die Physikalität ist der offensichtlichste und ausdrucksvollste Inhalt des Schreibens. Konzeptuelles Schreiben beschäftigt eher Verstand des Lesers, als ihr Ohr oder ihre Gefühle. Die Physikalität der Arbeit kann ein Widerspruch zur seiner nicht-emotiven Absicht werden. Reim, Metrik, Struktur, und Enjambement betonen nur die physikalischen Elemente der Arbeit. Alles, was die Aufmerksamkeit und das Interesse des Lesers auf diese Physikalität lenkt, wirkt abschreckend auf unser Verstehen der Idee und wird als expressives Mittel verwendet. Der konzeptuell Schreibende würde diese Betonung der Materialität möglichst stark verbessern wollen oder auf eine paradoxe Art und Weise benutzen (sie zu einer Idee machen). Diese Art des Schreibens sollte dann mit der größtmöglichen Ökonomie der Bedeutungen ausgestattet werden. Ideen mögen mit Zahlen oder Worten oder allen Arten, die der Schreibende wählt, ausgestattet werden – die Form ist dabei unerheblich.
Diese Paragraphen sind nicht als kategorische Imperative zu verstehen, aber die dargelegten Ideen sind meinem derzeitigen Denken so nahe wie möglich. Diese Ideen sind das Ergebnis meiner Arbeit als Schriftsteller und sie sind Gegenstand einer Veränderung, ebenso wie meine Erfahrung sich verändert. Ich habe versucht, sie mit so viel Klarheit wie möglich zu formulieren. Wenn meine Sätze unklar sind, könnte das heißen, das Denken ist unklar. Sogar während ich das schreibe, scheinen die Ideen offensichtliche Inkonsistenzen zu besitzen (einige habe ich versucht zu korrigieren, andere werden mir sicher entgangen sein). Ich rate nicht allen Autoren zu einer konzeptuellen Form des Schreibens. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sie für mich gut funktioniert, während andere Schreibweisen dies nicht getan haben. Es ist nur eine Art des Schreibens; andere Schreibweisen eignen sich für andere Schreibende. So wie nicht alle Arten des konzeptuelle Schreibweisen die Aufmerksamkeit der Leser verdienen. Konzeptuelles Schreiben ist nur dann gut, wenn die Idee gut ist.